KAPITEL 3 Vor der Vorentscheidung. Natürlich findet
sich ein Wettkämpfer, der zum ersten Mal an der Arnold Classic teilnimmt, als erster Athlet backstage ein. Brandon Curry kreuzt um 13 Uhr auf, eine ganze Stunde bevor die erste Pose gezeigt wird. Schon bald gesellen sich die zwei Besten vom letzten Jahr hinzu. Dennis Wolf sitzt auf einer Flachbank, den Blick auf den blauen Teppichboden des Aufwärmbereichs im Brehm Room des Veterans Memorial gerichtet, fokussiert auf den Tag, der sich als der bedeutendste seiner Bodybuilding- karriere herausstellen könnte. Nicht weit entfernt liegt der 37-jährige Branch Warren auf einer Schrägbank und telefoniert mit seiner Frau Trish, die mit dem Baby in Texas geblieben ist. Um 13.30 Uhr liest Andy Steiner von Stronghold Ministries Warren einen Bibelvers vor, die beiden beten. Während Chief Expediter Dr. Mike
Feulner in Blöcken à fünf Minuten – „Zwanzig Minuten, Jungs!“ – die Minuten bis zum Start herunterzählt, steigen die Wettkämpfer aus ihren Trainingsanzügen und lassen Öl auftragen. „Fünfzehn Minuten!“ Sie pumpen sich mit leichten Kurzhanteln, Seitheben und wiederho- lungsreichen Liegestützen von Bänken und Stangen auf. Warren lässt seine lange Hose an und damit die größte Frage des Tages noch offen: „Zehn Minuten!“ Dann streift er die Hose ab, während sich Fotografen und Beobachter sekundenschnell um ihn scharen. Alle Augen richten sich auf das fragwürdige Bein. Er steht vor einem Ganzkörperspiegel, schüttelt seinen rechten Oberschenkel, verankert seinen Fuß im Boden und fixiert damit die Melange aus Quadrizepsmuskeln. Kühne Schluchten und feine Ritze zeichnen sich ab. „Fünf Minuten!“ Warren sieht
niemanden an. Aber alle sehen ihn an. Auch er selbst starrt auf sein Bein, aber nicht mit der Ehrfurcht und Fassungslosig- keit, die den Rest von uns ergriffen hat. Nein, er erinnert sich an die Schmerzen. Er erinnert sich an den Jagdausflug, bei dem er die verdammte Beinschiene in den Fluss warf. Er erinnert sich an die Workouts – viele Wh, mehr Schmerzen ... und noch mehr ..., ein Test seiner Tapferkeit nach dem anderen. Er hat nie daran gezweifelt, an diesem Ort zu dieser Stunde dieses Bild vor Augen zu haben. Sein Glaube geriet nicht eine Sekunde ins Wanken. Wenn Warren sagt, dass er etwas tun wird, dann tut er es auch. Er verlässt mit den anderen den Raum, bahnt sich seinen Weg durch die Flure backstage und steigt bald danach auf die Bühne, um seiner Legende ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. FLEX
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OBEN, VON LINKS NACH RECHTS: Evan Centopani, Lionel Beyeke UNTEN, VON LINKS NACH RECHTS: Ben Pakulski, Dennis Wolf