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Entscheidung, auf welche Weise man ihn bewirtschaftet. Für solche Ver-Körperung des Selbst
bildet der Rausch ein Medium der Inszenierung und Darstellung; er konstituiert ein Erlebnis-Be-
wusstsein, mit dem man Kompetenz in den Spielen der Distinktion – sogar in den Spielen der
negativen Distinktion – signalisiert und sich seiner eigenen reflexiven coolness im Umgang mit dem
zur Schau gestellten Überschreiten der Selbstkontrolle vergewissert.
Diese Spiele sind nur möglich, wenn das Leben nicht mehr so stark von Normen regiert wird, die
fest in den Köpfen verankert sind, wie es bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein der Fall
war. Wenn die Individuen sich ständig neu justieren und ihre Flexibilität unter Beweis stellen
müssen, dann werden sie vor allem durch situative Steuerungsmechanismen gelenkt. Das lässt
sich im Arbeitsleben von Großkonzernen an den Techniken des Human Resource Management
sehen, bei denen Zielvereinbarungen den Beschäftigten die Verantwortung für den Erfolg – den
persönlichen wie den des Unternehmens – auferlegen, das lässt sich im städtischen Alltagsleben
an den Techniken von Rauminszenierung und Verhaltenslenkung sehen, wie sie exemplarisch jede
Shopping Mall durch die Anordnung der Läden, durch Lichtregie und Warenpräsentation vorführt.
Die Drogenpolitik vollzieht diese Techniken in kleinem Maßstab nach: so ist der Konsum illegaler
Drogen für eine definierte Gruppierung von Menschen zu manchen Zeiten an manchen Orten
erlaubt, das sind die Fixerräume, und der Konsum und Verkauf der legalen Droge Alkohol ist zu
manchen Zeiten an manchen Orten untersagt, wie das neuerdings in manchen Städten eingeführt
wird. Gerade diese letztere Entwicklung, dass man den Erwerb und den Konsum von Alkoholika
am späteren Abend in einigen Innenstadtzonen verbietet, zeigt ganz augenfällig die Mechanismen
einer situativen Steuerung, und diese richtet sich nicht nur, aber vor allem an Jugendliche. Ob die
sich davon beeindrucken lassen werden, ist eine noch offene Frage; man nimmt ihnen zwar eine
öffentliche Bühne, und das ist aus ihrer Sicht sicherlich ein Verlust, aber das tangiert die
Motivationen zum exzessiven Trinken überhaupt nicht. Die Ambivalenz gegenüber dem Rausch
und die Betonung von Selbstkontrolle, wie ich das beschrieben habe, führen ja dazu, den Rausch
im allgemeinen und exzessives Trinken im besonderen als eine Form der Pathologie erscheinen zu
lassen. Das unterschlägt aber seinen sozialen Sinn und verkennt die soziale Symbolik, die ein
solches Verhalten für diejenigen hat, die es vorführen. Denn dieses Trinken ist vor allem eine
soziale Inszenierung, bei der sich junge Männer und Frauen sozial verorten, darstellen und
ihr Selbstverständnis sichtbar machen – für junge Männer eine demonstrative Betonung
ihrer Maskulinität, für junge Frauen durch die Grenzüberschreitung traditionalen Verhaltens
ein Fanal des Emanzipiert-Seins.
Überhaupt sollte man – um ein wenig ausführlicher auf das Thema Jugendliche, Alkohol und
Gewalt einzugehen – vor allem und zuerst die symbolische Bedeutung bedenken, die solche
Verhaltensweisen im jugendlichen Darstellungskosmos haben. Unsere Gesellschaft kennt – und
das hängt mit der tendenziellen Auflösung der allgemeinverbindlichen Regeln zusammen, die ich
erwähnt habe – kaum noch Inititiationsriten, wie sie früher üblich waren: Konfirmation,
Kommunion oder Jugendweihe gibt es zwar noch, aber sie haben ihre prägende Kraft weitgehend
eingebüsst, wie alle Institutionen welcher Art auch immer ihre prägende Kraft weitgehend
eingebüsst haben, das Stichwort, Sie kennen es, lautet Individualisierung. Der Rausch von
Jugendlichen lässt sich, denke ich, verstehen als ein autonom veranstalteter
Inititiationsritus, und sie haben damit durchaus verstanden, was ihnen gesellschaftlich
abverlangt wird, nämlich die Selbstinszenierung nach selbst entwickelten Maßstäben und
Riten. Man könnte geradezu behaupten, dass sie sich damit strukturell ganz konform verhalten und
eben das tun, was eine unternehmerisch konzipierte Gesellschaft ausmacht. Einerseits allerdings
nur, denn sie vergessen dabei, dass Selbstkontrolle einen ebenso hohen Wert darstellt wie die
Kunst der Selbstinszenierung. Sie kennen die Regeln des Spiels noch nicht genau genug, aber
auch dies nur einerseits, denn andererseits wissen sie offenbar, welches Tabu jede Form von
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