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Vom Rausch in nüchternen Zeiten
Aldo Legnaro
Vom Rausch in nüchternen Zeiten will ich sprechen, und das enthält ja schon zwei
Vermutungen: nämlich einmal die Vermutung, unsere heutigen Zeiten seien nüchtern, und
zugleich spiegelbildlich die Vermutung, die Zeiten seien einmal weniger nüchtern gewesen.
Auf den ersten Blick könnte man manchmal ja denken, es habe sich gar nicht soviel verändert:
da verfügt schon im 10. Jahrhundert der angelsächsische König Edgar, an den Trinkgefäßen
Eichmarkierungen anzubringen und jeden zu bestrafen, der in einem Zug darüber hinaus trinkt –
das, was Jugendliche heute als Komatrinken praktizieren, war damals schon beliebt, und das Mittel
dagegen mutet auch schon ganz modern an. Doch der erste Blick täuscht, und um verstehen zu
können, wie und auf welche Weise sich die Zeiten geändert haben, muss man tatsächlich tausend
Jahre Zivilisationsgeschichte einbeziehen.
Ich möchte deswegen einige Blicke zurück in die europäische Vergangenheit und einige Blicke
auf die Gegenwart werfen, immer mit der Frage: was bedeutet der Rausch den Menschen
einer bestimmten Zeit, wie geht eine Gesellschaft mit dem Rausch um und wie bindet sie
ihn in ihre Strukturen ein. Denn an der Art und Weise, wie Gesellschaften mit dem Rausch
umgehen, ob sie ihn eher positiv oder eher negativ bewerten, ob sie ihn für eine zentrale
Erfahrung ihres Lebens halten oder für ein randseitiges Phänomen, das man zeitlich oder
räumlich eingrenzen muss – an diesen Einstellungen zum Rausch lassen sich recht gut die
vorherrschenden Werte einer Gesellschaft ablesen.
Denn der Rausch als Phänomen ist universell – wir kennen keine Kultur, die nicht den
Rausch in irgendeiner Form einsetzte als ein kultisches Mittel zur religiösen oder
transzendentalen Erfahrung, als ein säkulares Mittel der sozialen Vergemeinschaftung oder als
ein individuelles Mittel der Welterfahrung. Nicht universell aber sind die Wege zum Rausch – es
gibt sehr viele Arten ihn zu erreichen – und diese Arten sind in jeder Gesellschaft auf
unterschiedliche Weise kulturell und sozial eingebunden. Das macht den Rausch zu einem
derartig vielfältigen Phänomen, das vielerlei Gesichter hat.
Doch zuerst müssen wir uns verständigen über die Begriffe. Unter Rausch verstehe ich
jeglichen Zustand eines veränderten Bewusstseins – und dieser Begriff, im englischen Original
spricht man von altered states of consciousness, bezeichnet vor allem die Wirkungen, die unter
dem Einfluss von Drogen auftreten, gleich ob sie hierzulande legal oder illegal sind. Aber
Drogen sind dafür nicht unabdingbar notwendig: es genügt ja, verliebt zu sein, um sich in einem
Rausch zu befinden, wie wir alle wissen, mit Atemübungen kann man sich ebenso in einen
Rausch versetzen wie mit Marathonlaufen oder der harten Arbeit am Körper im Fitness-Studio,
und wenn Dagobert Duck in seinen Goldmünzen badet, dann ist das ja auch eine Art von
Rausch ...
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