This page contains a Flash digital edition of a book.
COVER:
Text: Michael Rechsteiner
Fotos: Chanelle
Yes, we will.
Ein Tag unter Heiratswilligen und
anderen seltsamen Menschen
Da auf MTV die Musiker keine Musik mehr machen, sondern per Datingshow im K.O.-Verfahren die Liebe ihres Lebens
suchen, hat sich RockStar für einmal unter Leute begeben, die ihren, schmacht, Seelenpartner bereits gefunden haben und
ihn deshalb an die TrauDich! Hochzeitsmesse im Zürcher Kongresshaus geleiten/zerren. Wir stellen fest: MTV lügt. Liebe
ist...keine kreischenden Furien, die Flavor Flav und Bret Michaels am Arm zerren und besoffen ins Beet kotzen. Liebe
ist...hohe Kuchen, lange Limousinen und manchmal ein bisschen doofe Frisuren.
20'000 Scheidungen jährlich und trotzdem gibt es noch Menschen, die sich Claudia Lässer an einer Modeschau für
Brautkleider antun. Das sind nun mal „die Opfer, die man bereit sein muss, in einer Partnerschaft zu bringen.“ Die
goldgelockte Moderatorin begrüsst die Besucher der TrauDich! (rund 6'100 werden es an diesem Wochenende sein) am
Laufsteg, wo gleich die wallende Wunderpracht für den schönsten Tag des Lebens präsentiert wird. Hinter uns knutscht ein
Pärchen, es wird zweifellos hässliche Kinder gebären, aber das sind nun mal „die Opfer, die man bereit sein muss, als
tolerante Gesellschaft zu bringen“. Ansonsten: Verliebte jeden Alters, als wäre das Love Boat auf Land gelaufen. Keiner ist
immun. Ein knapp 20-jähriges Rockabilly-Bonnie-and-Clyde-Gespann strolcht auf Entdeckungssafari durch die
Messestände, ein glatzköpfiger Finsterling mit Fetischboots, Lederhosen und Latexmantel schlurft mit pink bedrucktem
TrauDich!-Plastiksack in der Hand durch die Halle. Keiner ist immun und es breitet sich aus. „Die Zahl der
Eheschliessungen steigt wieder,“ beginnt Claudia Lässer ihren Stand-Up. „Und dazu gibt es auch gute Gründe,“ gluckst
sie weiter. Kurz vor Beginn der Moderation war Claudia Lässer noch kurz im Internet und hat gegooglet: „Zum Beispiel:
Verheiratete Paare haben gemäss Statistik mehr Sex!“ Ob sie den auch miteinander haben, behält die Statistik oder
Claudia Lässer für sich.
Die Zahl der Eheschliessungen in der Schweiz steigt seit 2006 tatsächlich wieder auf knapp über 40'000. Und das
ausgerechnet in einer Generation, die mit „Eine schrecklich nette Familie“ am TV aufwuchs und im Turnunterricht
erstmals die Teams in „Scheidungskinder“ und „Nichtscheidungskinder“ gleichmässig aufteilen konnte. Gleichzeitig
stieg in den vergangenen Jahren das Durchschnittsalter der Eheschliessenden auf knapp 30, was zeigt, dass „gute
Gründe“ für eine Hochzeit meist praktische, nicht romantische sind: „Forever after“ sehr gerne, aber erst wenn
Laufbahn und Wohlstand einigermassen im Trockenen sind und irgendwann mal gerecht aufgeteilt werden kann,
falls das „forever after“ nicht ganz so „forever“ halten sollte. Denn wird einer Partnerschaft einmal das Steroid
„Ehe“ injiziert, glaubt manch einer, aus dem „dürfen“ würde ein „müssen“. Und dieses „müssen“ sieht man
bereits in den müden Äuglein einiger Mannskerle, die an diesem Samstag um acht Uhr früh aus dem Bett
mussten, um jetzt die Ankündigung der aktuellen Brautkleidtrends mitzuerleben. Allen, die ausgeschlafen
haben, sei verraten: Der Brautkleidtrend geht 2009 „ins Schlichte“. Die Angetraute will gut aussehen,
ohne dabei ein Massengrab aus Häkeldeckchen mit sich rumzutragen. Beim Bräutigam orientiert sich
der diesjährige Chic, zumindest was die präsentierten Anzüge betrifft, mehr „ins Beschissene“. Die
Stoffe funkeln und glitzern und rascheln wie ein Bonbonpapier unter dem Discolicht eines
Jugendzentrums. In der Tierwelt mag das einem Fasanenweibchen feuchte Federn bescheren, an
einer Hochzeit wirft es vielmehr die Frage auf, ob dieser Zuhälter jetzt zur Familie der Braut oder
des Bräutigams gehört.
Miss Schweiz Whitney Toyloy, 18, trägt an diesem Tag zum ersten Mal ein Brautkleid.
Irgendwann, so in zehn Jahren, könnte sie sich durchaus vorstellen, in einem solchen Modell
vor den Altar zu treten. Heute hingegen präsentiert sie es lediglich als Höhepunkt der
Seidenlawine. Und alle Jungs, die sie brav abgesessen haben, werden jetzt mit einer
anschliessenden Frisurenshow belohnt. Warum all die Brautfrisuren von Models in Bikinis
präsentiert werden, wird im Verlauf des Schaulaufens nicht erklärt. Vielleicht dient es als
ein erster Indikator, ob all die jungen Beziehungspflänzchen im Publikum stark genug
sind oder die Verlobte schon nach der ersten Dauerwelle „Was glotzt du sie so an, die
Nutte? Wenn du auf Ärsche stehst, die wie ne Marslandschaft aussehen, hättest du
G. G.36 N° 54 N°
MA MA 54 37
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